Premiere...feierte der neue Beamer im Bürgerhaus bei der zweitägigen Ausstellung zum Thema Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen. Im voll besetzten Bürgerhaus wurde beim Vortrag von Mira Moroz über die Familiengeschichte ihres polnischen Großvaters Marian Moroz dank der neuen Technik sogar die unvergessene "Komme Len" (Helene Roznowicz) auf der Leinwand noch einmal lebendig. Eingerahmt von den informativen Ausstellungswänden des Kreises Euskirchens, die von Heike Pütz ausgesucht und erstmalig außerhalb von Vogelsang vorgestellt wurden, stand die Liebesgeschichte der beiden Göbel Schwestern zu den polnischen Zwangsarbeitern Marian und Josef im zweiten Weltkrieg im Mittelpunkt. Eine sehr gelungene Veranstaltung!
Aus allen Nähten platze das Bürgerhaus am Sonntag, 23. April bei den beiden Vorträgen zum Thema Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen.
Dank der Initiative des Landrates Markus Ramers war es gelungen, einen Teil der bis vor kurzem in Vogelsang präsentierten Ausstellungswände für ein Wochenende nach Freilingen zu holen. Das bot sich insofern an, als die Ausstellung ohnehin jetzt "auf Wanderschaft" geht und in den verschiedenen Kommunen zumindest in Teilausschnitten gezeigt werden soll.
Darüber hinaus bot sich Freilingen aber auch insofern als erste Station an, als ein Teil der Präsentation einen besonderen Blick auf die Familiengeschichte des in Freilingen eingesetzten polnischen Zwangsarbeiters Marian Moroz wirft.
Dieser familiäre Bezug lockte dann nicht nur zahlreiche Familienangehörige, sondern auch viele historisch Interessierte aus dem gesamten Gemeindegebiet an. Sie alle erlebten einen ausgesprochen interessanten und abwechslungsreichen Nachmittag.
Nach der offiziellen Begrüßung der rund 70 Gäste durch die Ortsvorsteherin Judith Maur führte Heike Pütz, Diplomarchivarin des Kreises Euskirchen allgemein in die Thematik ein. Aufgrund der umfangreichen Recherchen von F. A. Heinen zum Thema Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen war die Idee aufgekommen, sich damit nicht nur im Rahmen eines Buches, sondern auch in einer Ausstellung zu beschäftigen.
In ihrem rund halbstündigen Vortrag erzählte sie, begleitend zu den einzelnen Ausstellungswänden, u.a. darüber, wer als Zwangsarbeiter eingesetzt wurde, aus welchen Gebieten die "freiwilligen" (neben den Kriegsgefangenen) ins Land gekommenen Arbeiter stammten, in welchen Bereichen sie zum Einsatz kamen, wie sie untergebracht waren (zum großen Teil in besonderen Lagern, z.B. in Dorfsälen bzw. Gaststätten) und unter welchen schwierigen und sehr reglementierten Lebensbedingungen sie hier Arbeit leisten mussten.
Sie waren sie nicht nur durch besondere Kennzeichen mit Blick auf ihre Herkunft "markiert", sondern durften auch in keinerlei "geselligen" Verkehr zur deutschen Bevölkerung treten. Sogar das gemeinsame Essen an einem Tisch mit dem Arbeitgeber war untersagt und konnte zu schweren Strafen führen, wenn dies im Rahmen der "sozialen Kontrolle" durch den Nachbarn angezeigt wurde. Es war untersagt, Informationen über die Arbeitsbedingungen in ihre Heimat zu senden. Auch Fotos waren verboten, was die privaten Bildbelege, die zu dem Thema zusammengetragen werden konnten, umso wertvoller erscheinen lässt.
Insgesamt konnten rund 600 Todesopfer (teils durch Unfälle oder Krankheit) unter den geschätzt 16.000 Zwangsarbeitern im Kreis Euskirchen ermittelt werden, davon 32 in der Gemeinde Blankenheim.
Lebensgefährlich war es vor allem, in engeren privaten Kontakt zu treten. Der Zwangsarbeiter wurde von der Gestapo zur Abschreckung von der vor den Augen der anderen Zwangsarbeiter öffentlich hingerichtet, die deutsche Frau wurde wegen der "Blutschändung" in der Regel in ein Konzentrationslager verbracht, viele nach Ravensbrück.
Doch Liebe ist stärker als jede Gefahr.
Davon erzählte im Anschluss an den informativen Vortrag dann Mira Moroz, die auf ihre ganz besondere Familiengeschichte einging.
Denn auch ihre Großeltern trotzten der Gefahr und verliebten sich verbotener Weise in einander.
Diese Liebesgeschichte zwischen Marian Moroz und Katharina (polnisch Kasa) Göbel wurde zunächst im Rahmen eines kurzen Animationsfilms eindrucksvoll näher gebracht, auf die Mira dann im anschließenden Vortrag näher einging.
Der aus der polnischen Großstadt Tschenstochau stammende Marian kam mit 26 Jahren als Kriegsgefangener nach Freilingen, um dort Zwangsarbeit zu leisten. Allen Verboten zum Trotz verliebte er sich in die damals 17jährige Katharina. Sie trafen sie heimliche im Wald.
Katharina wurde schwanger, was lange Zeit unentdeckt blieb. Selbst die mit ihr in einem Bett schlafende Schwester Helene bemerkte ebenso wie die Mutter nichts von den anderen Umständen von Katharina. Als die kleine Elisabeth am 3. Januar 1942 auf die Welt kam, musste die Liebesbeziehung strengstens geheim gehalten werden, auch wenn man schnell Marian als Vater vermutete.
Wie lebensbedrohlich das Geheimnis für die jungen Eltern war, wurde ihnen schlagartig bewusst, als die Gestapo am 30. Oktober 1942 den Zwangsarbeiter Wladyslaw Stancizewski in Anwesenheit aller Ostarbeiter in Lommersdorf zur Abschreckung erhängte, den Gerüchten nach wegen einer verschmähten Liebe zu einer Deutschen.
Marian musste untertauchen. Nach einer Odyssee durch die unwürdigsten Verstecke (einem ausgehobenen Graben im Wald sowie einem feuchten Aushub unter dem Küchenboden im Hause Göbel), versteckte er sich im Spätsommer 1944 auf dem Scheunendachboden von Katharinas Familie. Derweil intensivierte die Gestapo die Suche nach ihm. Katharina wurde immer wieder verhört, hielt jedoch bezüglich der Vaterschaft eisern an der Version des unbekannten namenlosen Wehrmachtssoldaten fest.
Eines Tages besuchten zwei Gestapo-Leute das Elternhaus von Katharina, während die 2jährige Elisabeth auf dem Hof spielte. Einer der Polizisten kam auf das spielende Kind zu und fragte mit einem Stück Schokolade lockend, ob es einen Vater hätte. Die Kleine bejahte die Frage offenherzig und zeigte unbekümmert auf den Dachboden, als man nach seinem Aufenthaltsort fragte.
Glücklicherweise konnte Marian die ganze Szene beobachten und begriff sofort, was die Geste seiner Tochter bedeutete. Geistesgegenwärtig baute er eine Art Tunnel im Stroh, während Katharina wie gelähmt zusah, wie die Männer der Gestapo mit ihren Bajonetten im Stroh stocherten. Marian konnte fliehen und fand bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 Unterschlupf auf Vellerhof.
Nach dem Ende des Krieges heirateten die beiden, gingen mit ihrem Kind nach Polen und bauten sich eine gemeinsame Zukunft in Marians Heimatstadt Tschenstochau auf.
Auch Katharinas Schwester Helene erging es mit ihrer Liebe zu dem polnischen Zwangsarbeiter Josef Roznowicz nicht besser.
Sie kam in einem Ausschnitt eines mehrstündigen Interviews noch eimal zu Wort, das Mira 2016 mit der im November 2021 mit 102 Jahren verstorbenen "Komme Len" geführt und per Video aufgenommen hatte.
Es war einfach wunderbar, der liebenswerten, humorvollen alten Dame noch einmal dabei zuzuhören, wie sie von ihrer verbotenen Liebe zu Josef erzählte, wie sie sich kennen und lieben gelernt hatten, von der eigentlich beabsichtigten Trennung und ihrer unverhofften Schwangerschaft, ihrem Zugfahrkarte nach Berlin ("In Köln liefen zu viele Eifer herum, die mich gekannt hätten").
Sie kehrte letztlich nach Freilingen zurück, heiratete Josef und verlor dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit (mehr zu ihrer Geschichte auch im Interview mit WiF mit ihr).
Nach diesem historischen Rückblick ging dann Mira auf ihre eigene Geschichte als polnische Spätaussiedlerin ein, wie sie mit ihren Eltern im Alter von 8 Jahren Ende der 80er Jahre nach Deutschland kam und wie sich die Familie hier ein neues Leben aufbaute. Mira erzählte von ihrer Identitätssuche und was sie mit Blick auf das Thema "Ausländerfeindlichkeit" zu ihren persönlichen historischen Nachforschungen motivierte (mehr dazu auch im Interview mit Mira auf WiF).
Ein sehr eindrucksvoller persönlicher Vortrag!
Insgesamt wurde den Gästen mit dem rund zweistündigen Vortragsprogramm ein sehr berührender Einblick in das Schicksal der Familien Moroz und Roznowicz gewährt, verbunden mit vielen Hintergrundinformationen zum Thema Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen.
Beim anschließenden Rundgang an den Stellwänden konnte man sich dann noch näher informieren bzw. das Gehörte noch einmal Revue passieren lassen.
Der positive Eindruck von der Veranstaltung hallte in vielen Einzelgesprächen nach.
Noch einmal ein herzliches Dankeschön an Heike Pütz und Mira Moroz für ihre Vorträge und die wunderbare Ausstellung.
Es hat sich überdies damit auch wieder einmal gezeigt, dass im Bürgerhaus nicht nur gefeiert werden kann, sondern sich der Raum auch wunderbar für kulturelle Veranstaltungen und Filmvorführungen anbietet.