"Uns reicht es!" - Während in Großbritannien immer noch Diskussionen, Abstimmungen und Verhandlungen hinsichtlich des "Brexits", also dem Austritt aus der Europäischen Union laufen, ist in Freilingen jenseits der öffentlichen Wahnehmung still und heimlich der "Frexit" vollzogen worden. Freilingen ist in Absprache mit den Nachbarn in Lommersdorf aus der Gemeinde Blankenheim ausgetreten und hat sich am 1. April offiziell zur freien, eigenständigen Gemeinde erklärt. Hier die Hintergründe!
Jeder kennt ihn, den "Brexit". Seit dem Referendum der Briten am 23. Juni 2016 für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union konnte man intensiv den mehr oder weniger geordneten und inszischen schon fast lächerlich anmutenden Versuch der Briten erleben, sich in diesen Tagen aus der EU zu verabschieden.
Mehr als 40 Jahre gehörte Großbritannien zur Europäischen Union. Als Grund für die mehrheitliche Entscheidung für den wie auch immer zu bewerkstelligenden Austritt wird vor allem angegeben, dass man sich kein bisschen europäisch fühlt. Was aus Brüssel kommt, sehen viele Briten traditionell kritisch, erst recht, wenn es um Regulierung, Standards und Gesetze geht. Die EU-Gegner wollen, dass London wieder alles selbst entscheidet - von Baurichtlinien bis zum Arbeitsmarkt. Die Briten fahren auf der linken Straßenseite, füllen Bier und Milch in Pints statt in Litern ab, beschreiben ihr Gewicht in Steinen und bemessen Entfernungen lieber in Füßen als in Metern. Ein Zeichen, dafür, dass auf der Insel einiges anders läuft als auf dem Kontinent.
"Ich kann das Gefühl und den Wunsch der Briten nach wiederzuerlangender Eigenständigkeit gut nachvollziehen. Irgendwie sehe ich das für Freilingen im Verhältnis zur Gemeinde Blankenheim ähnlich", dachte sich die Freilinger Ortsvorsteherin Mitte 2018, als die ersten Überlegungen für eine großangelegte Jubiläumsfeier der Gemeinde im September 2019 angestellt wurden. Dann feiert die Kommune ihr 50jähriges Bestehen und die ehemals eigenständige Gemeinde Freilingen blickt auf 50 Jahre "Unterwerfung" zurück.
Denn Freilingen wurde 1969 im Rahmen der kommunalen Neugliederung eher unfreiwillig in die neue Großgemeinde Blankenheim eingemeindet.
(Gebiet der Gemeinde Blankenheim)
Früher stellte Freilingen eine eigene unabhängige Gemeinde dar, mit einem Freilinger Gemeinderat und einem eigenen Bürgermeister. Die Gemeinde Freilingen verfügte zwar nie über größeres Kapital, wie z.B. Waldbestände, galt vielmehr sogar als eine der ärmsten Gemeinden im damaligen Kreis Schleiden. Dennoch versuchte man mit den wenigen Eigenmitteln und viel ehrenamtlichem Engagement einiges für den Ort auf die Beine zu stellen. Beispielhaft erwähnt sei hier nur der Bau und auch der spätere Umbau der "Alten Schule".
Das Gebäude wurde um 1880 eigentlich als "neue" Schule und Ergänzungsbau zum alten Schulhaus am Marienplatz (Baujahr um 1770) errichtet. Es bestand nur aus einem großen Klassenraum im Erdgeschoss und einer Lehrerwohnung in der oberen Etage und wurde für den Schulbetrieb zu klein.
1951 konnte zur Freude des damaligen Lehrers Klauer der schon länger geplante Schulerweiterungsbau trotz einiger finanzieller Bedenken beim Freilinger Gemeinderat nach vorangegangener kontroverser Diskussion eine tragfähige Mehrheit finden. Mit Hilfe von 2500 freiwilligen Arbeitsstunden Freilinger Bürger wurde der Anbau in nur sieben Monaten errichtet. Das Ergebnis wurde am 4. Dezember 1954 dann mit viel Tamtam und einem großen, ganztägigen Fest gefeiert, das abends im Dorfsaal Luppertz fortgesetzt wurde.
"Trotz der beschränkten finanziellen Situation ist in den Zeiten der Eigenständigkeit viel in Freilingen erreicht worden, wofür man sich persönlich verantwortlich zeigte und zeigen konnte. Jeder Erfolg wurde entsprechend gefeiert, was sich nicht nur auf das Zusammenwirken im Rat, sondern auch den dörflichen Zusammenhalt positiv ausgewirkt hat" so die Ortsvorsteher, die mit einer nicht zu überhörenden Sentimentalität und historischen Verklärung auf die früheren Gegebenheiten und Festivitäten zurückblickt.
Freilingen gehörte einmal wie Ahrdorf und Uedelhoven zur Bürgermeisterei Lommersdorf, eine von 23 Bürgermeistereien im Kreis Schleiden. Mit der Einführung der Gemeindeordnung für die Rheinprovinz von 1845 wurden die meisten Bürgermeistereien des Kreises dann wiederum in mehrere Gemeinden untergliedert. Für sie galt das Prinzip der Selbstverwaltung mit allem was dazu gehört: einem eigenen Bürgermeister und einem sechsköpfigen Gemeinderat. Sie waren für das Wohl und Wehe und die Aufstellung des gemeindlichen Haushaltes zuständig. Gerade letzterer war in Freilingen im Hinblick auf die leeren Kassen wie ausgeführt nicht immer mit Hochgefühlen verbunden. Umso kreativer musste man dann eben bei der Mittelbeschaffung an anderer bzw. höherer Stelle sein. In jedem Fall arbeitete man aber konstruktiv und zielführend zusammen, ohne auf Parteibelange oder festgefahrene Verwaltungsstrukturen Rücksicht nehmen zu müssen.
"Früher hatten die politischen Größen des Dorfes noch etwas direkt im und über den Ort zu bestimmen. Unabhängig und eigenverantwortlich beriet man über alle wichtigen örtlichen Dinge, wie z.B. die Friedhofsgestaltung, die Neuausweisung der örtlichen Müllkippe oder das Sprunggeld für den Einsatz des örtlichen Zuchttieres", beschreibt die Ortsvorsteherin die politische Lage vor 1969, die in den alten Protokollbüchern des Ortes nachzulesen ist.
(Protokollbuch der Gemeinde Freilingen aus dem Jahr 1857)
Im 1. Juli 1969 trat das Gesetz zur Neugliederung von Gemeinden des Landkreises Schleiden in Kraft und die kommunale Welt bekam ein völlig neues Gesicht. Mit dieser Gebietsreform sei nicht nur die rechtliche wie wirtschaftliche Selbstständigkeit gänzlich verloren gegangen, sondern auch die dörfliche Kreativität und Schaffenskraft gelähmt worden.
"Nach der Zwangseingemeindung vor nunmehr 50 Jahren liegt die Verantwortung über unseren Ort in Blankenheim in den Händen des dortigen Gemeinderates und dem ihm vorstehenden, den Ortsinteressen nicht immer unbedingt zugeneigten Bürgermeister. Zwar werden für jeden Ort sog. Ortsvorsteher benannt. Diese haben aber bis auf die undankbare Zustellung der ungeliebten Steuer- und Gebührenbescheide keine wesentlichen Aufgaben oder gar rechtlichen Befugnisse und können auch nur auf einen geringen finanziellen Etat, die sog. Ortsvorsteherpauschale in eigener Verantwortung zugreifen, z.B. für örtliche Bepflanzung oder kleinere Sanierungsmaßnahmen an Dorfbänken.
Große örtliche Projekte scheitern darüber hinaus aber auch an der desolaten finanziellen Situation der Gemeinde. Die Ortsvorsteher sind daher auch angehalten, sich mit Haushaltsanmeldungen für ihren Ort zurück zu halten, um die Haushaltsmisere nicht noch mehr zu verschlimmern", führt die Ortsvorsteherin aus, die anders als früher der örtliche Bürgermeister nicht direkt von den Freilingern bestimmt worden ist, sondern vom Rat der Gemeinde Blankenheim gewählt wurde.
"Was könnte man dagegen nicht alles im Ort verändern und in Gang setzen, wenn wir wieder die alten Zuständigkeitsordnungen hätten und nicht dem ausufernden politischen und planerischen Irrsinn in Blankenheim ausgesetzt wären? Es ist höchste Zeit für eine Abspaltung, wenn wir nicht mit in den finanziellen Abgrund gezogen werden wollen", dachte sich die Ortsvorsteherin und überlegte, ob man nicht dem Vorbild der großen "Befreiungs- und Abspaltungsaktion" Großbritanniens folgen sollte und einfach einen Austritt aus der Gemeinde Blankenheim verkünden sollte.
Eine heimlich, ohne großes öffentliche Aufsehen und ohne Veröffentlichung auf der Freilinger Internetseite im "Darknet" durchgeführte Befragung in der Bevölkerung ergab, dass 87,5 % der Freilinger Bevölkerung diese Auffassung teilten, davon wiederum 91 % sogar einen harten "Frexit" ohne jegliche Vertragsabsprache mit der Gemeindeverwaltung in Blankenheim forderten.
Doch wie könnte das umgesetzt werden? Warum nicht alte historische Strukturen wieder aufleben lassen? Im Hinblick auf die alte Bürgermeisterei Lommersdorf mit den beiden Gemeinden Lommersdorf und Freilingen wurden Anfang des Jahres verdeckte Gespräche mit dem Ortsvorsteher von Lommersdorf geführt, der in der Vergangenheit ebenfalls schon einmal an verschiedensten Stellen harsche Kritik an der Gemeinde Blankenheim (z.B. den Investitionen im sog. Konsum in Blankenheim) und dem Wunsch nach mehr Selbstständigkeit geäußert hatte.
Im Hinblick auf den kostenintensiven Neubau des Feuerwehrhauses in Lommersdorf wollte der Lommersdorfer allerdings allenfalls einen weichen, geregelten Austritt aus der Gemeinde Blankenheim überlegen. Er war aber zu Kooperationsvereinbarungen mit einer nach einem "Frexit" selbständigen Gemeinde Freilingen bereit.
Da Freilingen nach einem Frexit demnächst wieder in eigener Regie die Straßen sanieren oder ausbauen müsste, bot sich für diesen Bereich eine Regelung eines „Bagger-Sharings“ mit Lommersdorf an, deren Baustellenfahrzeugdichte in der Gemeinde Blankenheim ohne Vergleich ist.
Auch könnte in dem Abkommen eine Zusammenarbeit bei Angelegenheiten der Feuerwehr, Regelungen im Bereich der Nahversorgung (z.B gesteigerter Backwarenhandel in Carmens Dorfladen) und gegenseitige Beratungsdienste bei örtlichen Förderprojekten erfolgreich urkundlich festgelegt werden.
Die offizielle Unterzeichnung und Inkraftsetzung der Vereinbarung zur Zusammenarbeit erfolgte in den Frühstunden des 1. April symbolträchtig auf der auf der neuen Querungshilfe auf der L115, die die beiden Orte nicht nur für Fußgänger näher zusammengebracht hat.
Auf der großzügig angelegten Mittelinsel der Landstraße soll demnächst auch ein Symbol der neuen alten "Bürgermeisterei" errichtet werden. Wie das konkret aussehen soll, z.B. eine Miniaturfassung der Pfarrkirche oder ein weiteres Friedenskreuz ähnlich dem auf dem Hühnerberg ist noch offen, wird aber zur Zeit in einer gemeinsamen Projektgruppe erarbeitet.
Ebenfalls erarbeitet werden zur Zeit eigene Wege der Freien Gemeinde Freilingen, Einnahmen für den Gemeindehaushalt zu erzielen. „Wir erwägen die in der Vergangenheit bereits diskutierte Perlenzucht im Freilinger See (s. Bericht) umzusetzen, damit der Freilinger See endlich einmal effektiv genutzt wird. Dieses Entwicklungspotential ist ja in der Vergangenheit von der nun abgeschafften Herrschaftsstruktur sträflich vernachlässigt worden,“ so die enthusiastisch wirkende Ortsvorsteherin. Außerdem werde man ähnlich wie in der Gemeinde Hellenthal Wanderungen zu den Freilinger Narzissenhängen anbieten, um damit die touristische Entwickung anzukurbeln.
Darüber hinaus wolle man in der Steuererhebung ganz neue Wege gehen. Erarbeitet würden zur Zeit eine Hundekotsteuer, Schnarchsteuer, Rasersteuer und die sog. Einfach-weggeworfene-Kippen-Steuer. Damit würden aktuelle Problemfelder ganz neu beleuchtet und gewinnbringend aufgearbeitet. „Wir gehen in unserer freien Gemeinde positv an die Dinge heran, bei uns darf sich jeder so verhalten, wie er es selber verantworten kann. Man muss sich diese Freiheit allerdings „erkaufen“.
Aufgrund des "Frexits" ist Freilingen jetzt jedenfalls wieder eine eigenständige bzw. unabhängige Gemeinde. Eine entsprechende Beschilderung wurde bereits aufgestellt.
Eine Folge des Frexits bzw. der Kooperationserklärung ist nun allerdings auch, dass bis zu den nächsten offiziellen Wahlen ein eigener Übergangsgemeinderat samt vorsitzendem Bürgermeister in Freilingen eingesetzt werden muss.
Für die insgesamt 7 zu besetzenden Posten werden aktuell noch engagierte Kandidaten gesucht. Ein Vorschlag, der in Betracht gezogen wird, ist die Besetzung des Bürgermeisterpostens mit dem amtierenden Freilinger Karnevalsprinzen Paul I.
Engagement, Begeisterungsfähigkeit und verbale Hingabe für seine neue Wahlheimat hat er ja immerhin am 1. März auf der Bühne von Meiershof dem Freilinger Volk bereits hinreichend unter Beweis gestellt, so dass er als neuer Regent geradezu prädestiniert wäre. Die Verhandlungen laufen.
Bewerber für die übrigen Sitze im neu zu bildenden Freilinger Übergangs-Gemeinderat können sich ab sofort unter der Email-Adresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! (#blankenheimthenoeshaveit) melden.
Finanzielle Großzügigkeit und zeitliche Flexibilität wären dabei nicht von Nachteil.
Wir halten Sie auf dem Laufenden.